Aktueller Bericht über die Aktivitäten von Etiopia-Witten in Tigray seit Kriegsbeginn

Bericht für das Deutsche Auswärtige Amt und das Ministerium für Wissenschaftliche Zusammearbeit in Berlin

 

Ayder HaupteingangMuss das Ayder Hospital geschlossen werden?

Bericht über die aktuelle Situation in der äthiopischen Nordprovinz Tigray in Verbindung mit den Aktivitäten des deutschen Entwicklungshilfevereins für Äthiopien, ETIOPIA-WITTEN e. V. (als .pdf zum download)

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

Wie Sie sicher wissen, hat sich nur in der zentralen Region Tigrays die alltägliche Situation unter dem Waffenstillstandsabkommen vom Nov. 2022 etwas stabilisiert. Der Wiederaufbau des fast vollständig zerstörten Gesundheitswesens in Tigray kommt kaum in Gang. Die völlige Überlastung der erhalten gebliebenen, städtischen Krankenhäuser ist die unausbleibliche Folge.

Wir haben nun die Nachricht, dass dem größten funktionsfähigen Krankenhaus in Tigray, dem Ayder Universitätshospital in Mekelle, kurzfristig der vollständige finanzielle Kollaps bevorsteht. Das Ayder Hospital ist als universitäre Einrichtung der Universität Mekelle, eine Institution der äthiopischen Zentralregierung, die für dessen gesamte Finanzierung verantwortlich ist.

Von der äthiopischen Zentralregierung ist das zur Verfügung gestellte Finanzbudget für das laufende Finanzjahr für den Betrieb des Ayder Hospitals gegenüber den vergleichbaren Universitätskliniken außerhalb Tigrays massiv reduziert worden. Finanzmittel zur Reparatur oder Neubeschaffung an Gebäuden und technischen oder medizinischem Gerät wurden nicht bereitgestellt, die formal dem Ayder Hospital, wie den übrigen Universitätskliniken im Lande formal zustehen.

Die Gehälter der Mitarbeiter im Ayder Hospital werden nach unseren Informationen nur in reduzierter Form von der Zentralregierung ausgezahlt. Für die nicht gezahlten Gehälter der beiden Kriegsjahre haben die Mitarbeiter bisher keinen angemessenen Ausgleich erhalten.

Diese fehlende Besserung der finanziellen Situation für das Krankenhauspersonal in Verbindung mit der weiter sehr hohen Inflation, den zu zahlenden teilweise erheblichen persönlichen Schulden für Nahrungsmittel aus der Kriegszeit und eine unzureichende Versorgung mit alltäglichem Bedarf, führt zu einer zunehmend bedrohlichen Personalabwanderung. Ärzte und Pflegepersonal verlassen in rasch zunehmender Zahl das Ayder Hospital und Tigray. Sie finden sowohl in Addis Abeba, den afrikanischen Nachbarländern als auch in Europa und den USA sichere und gut finanzierte Arbeitsplätze. Dies führt naturgemäß zu einer weiteren Verschlechterung der Arbeitsbedingungen im Ayder Hospital und in gesamt Tigray.

Die defizitären finanziellen Mittel sind im Wesentlichen dafür verantwortlich, dass unverändert wesentlichen Medikamenten und medizinischen Hilfsmittel fehlen. Die überwiegende Zahl der medizinischen Geräte des ursprünglich modern eingerichteten Krankenhauses der Vollversorgung (Röntgengeräte, CT, MRT, Herzkatheterlabor, Klinisches Labor, Zahnklinik u.a.m.) ist aus weiter defekt oder zerstört.

Die Kosten für den Weiterbetrieb und die Wiederausrüstung des Ayder Hospitals, zeigen beispielhaft, dass sie bei Weiten die finanziellen Möglichkeiten humanitärer Hilfsorganisationen übersteigen. Die notwendigen politischen Schritte, die äthiopische Zentralregierung davon zu überzeugen, kurzfristig ihren finanziellen Verpflichtungen gegenüber den ihr unterstehenden Gesundheitseinrichtungen in Tigray nachzukommen, können nur auf anderen Ebenen gefunden und eingeleitet werden.

Die Hilfsmöglichkeiten für vergewaltigte Frauen in Tigray, für die jetzt auch in einer wissenschaftlichen Untersuchung quantifizierte Zahlen der vergewaltigten Frauen während des Tigray Kriegs vorliegen (Als Link: War-related sexual and gender-based violence in Tigray, Northern Ethiopia: a community-based study / Fisseha G, et al. BMJ Glob Health 2023), sind weiter nur sehr rudimentär und organisatorisch sowie quantitativ auf niedrigem Niveau. Etiopia-Witten bereitet mit dem Ayder Universitätshospital ein Programm für die Verbesserung der Finanzierung und Organisation für diese Frauen vor.

Durch Kontakte zum äthiopischen Roten Kreuz, haben wir erfahren, dass außerhalb von Mekelle zusätzlich drei Militärkrankenhäuser notfallmäßig eingerichtet wurden, über die nicht öffentlich berichtet wird. Dort sollen unter sehr provisorischen Bedingungen täglich in größerer Zahl männliche und weibliche junge Patienten chirurgisch versorgt werden, die durch kriegerische Ereignisse komplex verletzt und unbehandelt geblieben sind. Die dort geführten Wartelisten sollen mehr als 15.000 auf ihre Operation wartende junge Patienten umfassen. Der Umfang, der dem ICRC zur Verfügung stehenden Finanzmittel für Operationsmaterialien und Gehälter, sollen nur einen kleinen Teil dieser Operationen abdecken. Der extreme Mangel an geschulten Chirurgen ist ein großes Problem. Chirurgen aus dem Ayder Hospital operieren nach Möglichkeit gelegentlich auch dort. Mitglieder von Etiopia-Witten beginnen, mit dem ICRC zu klären, in welcher Form deutsche Chirurgen vor Ort helfen könnten.

Wie wir Ihnen berichteten, haben die Mitglieder und Unterstützer von Etiopia-Witten kontinuierlich während der Zeit des Kriegs in Tigray Wege gefunden, die Kontakte zu den leitenden Ärzten des Ayder Hospitals aufrechtzuerhalten. Die aktuell von Etiopia-Witten zusammengestellte Summe der finanziellen Hilfen aus seinen Spendenmitteln für das Ayder Hospital haben für die Zeit vom Dezember 2020 bis heute etwas mehr als 300.000 € betragen und konnten in lokaler Währung ausgezahlt werden. Sie trugen wesentlich dazu bei, während der schwersten Phase der Hungersnot in belagerten Tigray die Aufrechterhaltung der Krankenversorgung im Ayder-Hospital zu ermöglichen.

Mit finanzieller Hilfe der GIZ haben wir dem Kardiologen, Associate Prof. Abraha Hailu Weldegerima aus dem Ayder Hospital im Juli/August dieses Jahres für die Dauer von sechs Wochen mehrere Hospitationen in deutschen kardiologischen Kliniken ermöglichen können. Das Ziel war es, beispielhaft uns vertrauten, besonders engagierten Ärzten, Perspektiven für den Wiederaufbau des Gesundheitswesens in Tigray zu geben. Die leitenden Ärzte der Kardiologischen Klinik im Klinikum Memmingen, einem Lehrkrankenhaus der LMU München, der Kinderkardiologie der LMU München und der kardiologischen Klinik des Marienhospitals in Witten haben Prof. Abraha Weldegerima einen umfassenden Einblick in die interventionelle Kardiologie und deren organisatorischen Hintergrund geben können. Auf diese Weise wurden dem Leiter des Herzkatheterlabors und der Klinik für Kardiologie im Ayder Hospital durch diese Krankenhausaufenthalte wichtige Impulse für die zukünftige Gestaltung und Organisation seiner universitären kardiologischen Arbeit sowie für die weitere humanitäre Nothilfe in seiner Heimat vermittelt. Zahlreiche neu geknüpfte und wieder aufgefrischte persönliche Kontakte in dieser Zeit haben dazu Anlass gegeben, weitere gemeinsame humanitäre Hilfsprogramme für Tigray in die Planung aufzunehmen.

Besonders hilfreich für die Durchführung und geordnete Abwicklung von Hilfsprogrammen von Etiopia-Witten in Tigray ist es, dass der ehemalige Executive Director des Ayder Hospital, Dr. Amanuel Haile, die Leitung des aktuellen Gesundheitsministeriums für Tigray übertragen bekommen hat. Sein ehemaliger Adminstrative Director, Mussi Tesfay, aus dem Ayder Hospital ist seit Kurzem dort ebenfalls in leitender Position tätig ist.

Weitere Programme:

Gemeinsam mit der Leitung der Universität Mekelle unterstützt Etiopia-Witten überwiegend im ländlichen Tigray seit 2012 Programme zum Bau, Ausrüstung und Betrieb von Grundschulen. Von einem besonders qualifizierten und engagierten Team akademischer Mitarbeiter der Universität Mekelle wurde jetzt im Auftrag von Etiopia-Witten der aktuelle Umfang der Zerstörung und Beschädigung dieser Schulen quantitativ, qualitativ und fotografisch so detailliert festgestellt, dass ein schlüssiges Finanzierungsprogramm erstellt werden konnte. Die Suche nach Spendenmitteln zur Umsetzung hat begonnen.

Die Wiederaufnahme von Kontakten zwischen den Verwaltungen der Partnerstädte Witten und Mekelle ist in Vorbereitung.

Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass wir von Etiopia-Witten, auch wenn zahlreiche Wünsche offenbleiben, bei unseren Bemühungen den Menschen in Äthiopien zu helfen, uns von zahlreichen deutschen öffentlichen Institutionen und deren Mitarbeitern großzügig und häufig engagiert unterstützt sehen. Dies gilt unter anderem für die GIZ mit den Klinikpartnerschaften, das Auswärtige Amt mit seiner Botschaft in Addis Abeba, den Senior Expert Service, die großzügige Stadtverwaltung und Stadtrat der Stadt Witten. Ebenfalls für die zahlreichen hiesigen Krankenhäuser, die mit großzügigen Materialspenden das Ayder Hospital mit ausrüsten. Die zahlreichen deutschen universitären Einrichtungen sollen nicht unerwähnt bleiben, deren Lehrende und Beratende wichtige Impulse bei der Entwicklung der Universität Mekelle setzen.

Angesichts der weiter bestehenden großen Nöte in Äthiopien hoffen wir auf diese Weise Ihren Fokus noch einmal mit auf Tigray gelenkt zu haben. Wir würden uns freuen von Ihnen zu hören, falls wir Sie bei Ihren humanitären Programmen für Tigray weiter unterstützen könnten.

Auf die aktuelle Notsituation für die Erhaltung des Ayder Hospitals in Mekelle möchte ich Sie an dieser Stelle noch einmal besonders dringlich aufmerksam machen.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Christian Leuner

 

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