Tigray weiter in größter Not! Die Belagerung durch die äthiopischen Zentralregierung hält an

Die äthiopische Zentralregierung und Eritrea behindern gezielt die Beendigung der schweren humanitären Notlage in der krisengeschüttelten nordäthiopischen Provinz Tigray

Drei Monate nach dem von der Afrikanischen Union vermittelten Waffenstillstand zwischen der äthiopischen Zentralregierung und der Provinzregierung Tigrays verweigert die äthiopische Zentralregierung den Beschluss des gesetzlichen Finanzbudgets für die zerstörten und geplünderten Krankenhäuser in Tigray. Ihr zugewiesene internationale Hilfs-Gelder für Tigray kommen dort nicht an.

Dem Vorstand des Entwicklungshilfevereins Etiopia-Witten e. V. liegen vertrauliche Berichte (Februar 202) aus dem Gesundheitswesen Tigrays vor, dessen Verantwortliche sich wegen eines ausdrücklichen Verbots des äthiopischen Ministerpräsidenten Abi Ahmed nicht mehr mit ihren Sorgen und Nöten an die Öffentlichkeit wenden dürfen. Diese Berichte geben einen detaillierten Einblick in die aktuell weiter extreme humanitäre Notlage in Tigray.

Aus den Schilderungen entsteht der Eindruck, dass entgegen den Maßgaben der am 2. 11. 2022 bekundeten Waffenruhe für Tigray, das ursprünglich öffentlich benannte Ziel der äthiopischen Regierung und der Regierung Eritreas weiter intensiv verfolgt wird, die Vernichtung der Existenzgrundlage der Bevölkerung Tigrays für die internationale Öffentlichkeit verborgen und im Windschatten der zahlreichen anderen internationalen Konflikte weiterzubetreiben. Die gesamte Provinz Tigray befindet sich funktionell unverändert in einem Belagerungszustand, an dem auch die sehr zögerliche Öffnung der Banken und partiell der Kommunikationssysteme wenig ändert.

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Zugang für humanitäre Hilfe Dezember 2022 - UNOCHA

Folgende Nachrichten begründen diesen Eindruck:
  • Auch nach dem seit mehr als drei Monaten bestehenden Waffenstillstand besteht der Totalkollaps des Gesundheitswesens Tigray unverändert fort. 80 % der Kliniken und Gesundheitszentren sind zerstört oder ausgeraubt worden

  • Seit dem Waffenstillstand machen sich in noch größerer Zahl schwer verletzte und komplex kranken Menschen aus der weiten Umgebung auf den Weg in die Provinzhauptstadt Mekelle, zum einzigen, nicht zerstörten und nicht ausgeraubten modernen großen Krankenhaus in Tigray, in dem sie jedoch wegen der nicht mehr vorhandenen Ausstattung mit Medikamenten und anderem nicht behandelt werden können.

  • Die äthiopische Zentralregierung mit ihrem Finanz- und das Gesundheitsministerium verweigert weiterhin ohne Angabe von Gründen den Beschluss eines Finanzbudgets für das Gesundheitswesen in Tigray oder die Zahlung von Finanzmitteln zur Überbrückung der Notsituation

  • Die Folge ist, dass die Mitarbeiter, der der Zentralregierung direkt unterstehenden Universitätskrankenhäuser, die seit mehr als 20 Monaten auf ihre ausstehenden Gehaltszahlungen warten, weiter unentgeltlich weiterarbeiten müssen oder ihren Arbeitsplatz verlassen

  • Die Provinzkrankenhäuser und Gesundheitszentren werden von in ganz Äthiopien aus Steuermitteln der Provinzregierungen finanziert. Wegen kriegs- und belagerungsbedingtem Fehlen alle Steuereinnahmen in Tigray bzw. ein Notfallbudget der Zentralregierung oder Finanzmittel internationaler Hilfsorganisationen für die Provinzregierung. Daher ist die Wiederherstellung der Basisversorgung der Not leidenden Bevölkerung durch die überwiegend vollständig zerstörten und ausgeraubten Gesundheitsstrukturen in gesamt Tigray weiter nicht möglich

  • Aus diesen genannten Gründen fehlen allen Krankenhäusern weiter die finanziellen Mittel zum Kauf der vollständig aufgebrauchten Medikamente, Verbands- und Nahtmaterialien sowie Narkosemittel für Operationen, Laborchemikalien und allem anderen, was ein Krankenhaus für die Diagnostik und Behandlung benötigt, die überwiegende auf dem inneräthiopischen Markt beschafft werden könnten. Dies gilt ebenfalls für den Wiederaufbau der zerstörten Räumlichkeiten und Einrichtungen

  • Die fehlenden Finanzmittel führen ebenfalls dazu, dass die Ernährung stationärer Patienten, die keine Angehörigen haben, die in der Lage sind, Essen für sie regelmäßig in das Krankenhaus zu bringen, nicht möglich ist und diese daher im Krankenhaus nicht behandelt werden und bleiben können

  • Es wird über verdeckte und informell gestaltete Behinderungen durch die äthiopischen Behörden in Addis Abeba bei dem Kauf von medizinischen Gütern aus Spendenmitteln für Institutionen aus Tigray auf dem inneräthiopischen Markt berichtet. Diese verschärfen die Situation zusätzlich und weisen ebenfalls auf eine unverändert feindliche Haltung gegenüber Tigray hin

  • Zunehmend verlassen Mitarbeiter, einschließlich von spezialisierten Ärzten und Hochschullehrern, auch der Kliniken in Mekelle, die Provinz Tigray, da sie die vollständige Hilfslosigkeit gegenüber den in das Krankenhaus strömenden Patientenmassen und der zunehmend fehlenden Perspektive für eine Besserung der Situation nicht mehr ertragen können. Dies in Verbindung mit einer hungernden eigenen Familie und ausreichenden positiven beruflichen Alternativen außerhalb Tigrays

  • Berichte über die Hindernisse für die Aufnahme der Wiederherstellung der zerstörten administrativen Infrastruktur in Tigray beschreiben, dass beispielhaft finanziellen Hilfen durch Institutionen der UN für den Wiederaufbau in Tigray erst dann von der äthiopischen Zentralregierung genehmigt werden, wenn die Einrichtung einer von der Zentralregierung anerkannten, neuen provisorischen Regierung Tigrays abgeschlossen und für die Verteilung der Mittel eine administrative Struktur bis hinunter auf die Kreisebenen wieder hergestellt worden sind

  • Für den geforderte Aufbau der von der TPLF-Partei unabhängigen, provisorischen Provinzregierung für Tigray u.a. mit dem Gesundheitsministerium und der übrigen administrativen Strukturen ist keine Finanzierung der Gehälter und Sachmittel bereitgestellt oder angekündigt worden. Es entsteht der Eindruck, dass dies von Menschen dort „ehrenamtlich“ geleistet werden soll, die seit mehr als zwei Jahren kein Gehalt erhalten haben und teilweise weiter mit ihrer Familie Hunger leiden.
  • Die Versorgung mit Lebensmitteln und täglichem Bedarf ist wegen der wiederholten und von der Zentralregierung tolerierten Blockaden des Zuganges von Hilfskonvois durch lokale politische Provinzinstitutionen in Amhara und Afar nach Tigray weiter sehr schlecht (seit Anfang Januar sind etwa 80 % der geplanten humanitäre Hilfsgüter in Afar und 60 % in Amhara verteilt worden in Tigray waren dies lediglich 11 %. Quelle: UNOCHA vom 10.02.2022). In den von den großen Straßen entfernt liegenden Ortschaften oder in den noch nicht befriedeten Gebieten Tigrays, die unter der Kontrolle der Truppen Eritreas oder von amharischen Milizen der FANO stehen, kommt seit Beginn des Krieges nahezu keine humanitäre Hilfe an

  • In den zahlreichen Flüchtlingslagern in Zentraltigray besteht unverändert größte Not. Es fehlt an allem

  • Die Preise für die nur sehr eingeschränkt verfügbaren Nahrungsmittel und täglichen Bedarf wie Hygieneartikel sind auf den lokalen Märkten weiter in schwindelnder Höhe und betragen ein Mehrfaches im Vergleich zu Addis Abeba

  • Wegen der fehlenden Öffnung aller Straßen durch die Zentralregierung von und nach Tigray für den Privatverkehr sind jeglicher Handel zwischen Tigray und dem übrigen Äthiopien sowie Privatreisen weiter blockiert

  • Der Transport- und der Passagierverkehr der zahlenmäßig stark eingeschränkten Flüge von Tigray von und nach Addis Abeba sind weiterhin streng kontrolliert und limitiert. Internationale Hilfsflüge direkt nach Mekelle sind nicht erlaubt

  • Wegen des strikten Verbots von Reisen für unabhängige Journalisten wie auch fast regelhaft für ausländische Politiker gibt es nahezu keinen unabhängig überprüfbaren Informationsfluss über die tatsächliche Lage in Tigray und in ganz Äthiopien. Lediglich Kontakte zu persönlich bekannten und vertrauenswürdigen Personen in Tigray können Hinweise für das tatsächliche Geschehen vor Ort geben. Um diese Personen vor eventuellen Nachstellungen zu schützen, werden keine Namen oder Hinweise auf ihre Funktion in örtliche Organisationen an dieser Stelle gegeben

Zusammenfassung

Die Menschen in Tigray sind froh, dass es keine Kampfhandlungen und insbesondere keine Angriffe mit Drohnen und Flugzeugen mehr gibt. Enttäuschend und bedrohlich ist, dass es nach wie vor nur sehr zögerlich zu Verbesserungen ihrer Lebensumstände mehr als drei Monate nach dem Waffenstillstand kommt. Die alltägliche Not und die fehlende medizinische Versorgung ist bisher nahezu unverändert. Es wird über verdeckte, gravierende Behinderungen der humanitären Hilfe und der Wiederherstellung des Wirtschaftslebens durch die Zentralregierung berichtet, die als Hinweis auf eine Fortführung der angekündigten Vernichtung Tigrays durch die äthiopische und eritreische Regierung gewertet wird.

Etiopia-Witten e.V. in der aktuellen Situation

Seit 2009 engagieren sich Mitglieder des Vereins Etiopia-Witten e. V. für die Verbesserung der medizinischen Versorgung der Menschen in Äthiopien. Seit 2012 hat sich als Schwerpunkt das Ayder Universitätshospital in der Stadt Mekelle, der Hauptstadt der Provinz Tigray, herausgebildet. Die junge, engagierte, neugierige und kluge medizinische und administrative Mannschaft des Ayder Hospitals machte eine enge Kooperation in Form von Weiterbildung und medizin-technischer Ausrüstung leicht und erfolgreich. So konnte das Ayder Hospital für äthiopische Verhältnisse zu einem der modernsten Krankenhäuser der Maximalversorgung im Lande gemeinsam mit zahlreichen weiteren internationalen Partnern entwickelt werden. Bedingt durch die langjährige Zusammenarbeit entstanden zahlreiche persönliche Freundschaften, auch mit den zugehörigen Familien. Mit der Schaffung der Städtepartnerschaft zwischen der Heimatstadt von Etiopia-Witten, der Stadt Witten, und der Stadt Mekelle wurde eine zusätzliche wichtige Erweiterung des Hilfsspektrums des Vereins geschaffen.

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